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Introversion vs. Extraversion

 

Diese Typologie wurde von C.G. Jung, der sich Zeit seines Lebens mit der Struktur und den Funktionen der menschlichen Psyche auseinandergesetzt hat, entwickelt und 1921 erstmals veröffentlicht.

 

In jedem Menschen sind beide Mechanismen angelegt, sowohl die Extraversion als auch die Introversion. 

Das Überwiegen des einen oder anderen macht schließlich den Typus aus, welcher sich im Laufe des Lebens durch den Entwicklungsprozess verändert. 

Mit der Zeit entsteht die Notwendigkeit für das Individuum, auch bisher Vernachlässigtes zu entwickeln!

Dies geschieht in Form der Differenzierung der vier Orientierungsfunktionen, welche sich in der praktischen Wirklichkeit stets mit dem Einstellungstypus, der Intro- oder Extraversion, verbinden.

Als solche bezeichnet man die Empfindung, das Denken, das Gefühl und die Intuition. 

In der Realität sind diese Grundfunktionen selten oder nie gleichmäßig differenziert. In der Regel ist nur eine völlig bewusst und kann frei und willkürlich gehandhabt werden (Hauptfunktion), während die anderen teilweise oder gänzlich unbewusst sind (inferiore Funktion). Die Funktionen, die ins Unbewusste verdrängt sind, bleiben unentwickelt und sollten im Laufe des Lebens bewusst gemacht und integriert werden, um eine ganzheitliche Wahrnehmung und Beurteilung von Situationen zu gewährleisten. 

 

Die Empfindung betrifft die Wahrnehmung durch die Sinnesorgane im Hier und Jetzt. Der Empfindungstyp hat z.B. ein Auge für Details - ihm entgeht nichts, was sich in seinem Umfeld abspielt. 

Das Denken betrifft die Funktion des intellektuellen Erkennens und Analysierens. 

Das Gefühl meint die subjektive Bewertung in gut oder schlecht. Der Fühltyp nimmt sofort wahr, ob er sich in einer bestimmten Umgebung oder Situation wohl oder unwohl fühlt. Er erkennt, was für ihn richtig oder falsch ist.

Unter Intuition versteht man die Wahrnehmung auf unbewusstem Wege. Dabei geht es um Ahnungen, um das Gewahr werden dessen, was nah kommen wird, aber auch um eine ganzheitliche Wahrnehmung der Umgebung zum Beispiel. Der intuitive Typus nimmt keine Details wahr, sondern Stimmungen. 

 

Die Differenzierung des Einstellungstypus beginnt oft schon sehr früh in der Kindheit.

Das früheste Kennzeichen der Extraversion eines Kindes ist seine rasche Anpassung an die Umgebung und die außerordentliche Aufmerksamkeit, die das Kind an Objekten zeigt. Das Kind nimmt zwar rasch, aber ungenau auf, alles Unbekannte erscheint anziehend und es setzt sich gerne einem Risiko bei seinen Unternehmungen aus. 

Das introvertierte Kind  kennzeichnet sich durch ein reflexives, nachdenkliches Wesen, das eine ausgesprochene Scheu, auch Angst vor unbekannten Objekten zeigt, gegenüber welchen es aber sehr bald eine Tendenz zur Selbstbehauptung an den Tag legt. Das Kind will seinen eigenen Weg haben und sich keinen fremden aufzwingen lassen. Wenn es etwas erfragt, dann geschieht das, um Namen, Bedeutung und Erklärung zu fordern und so eine subjektive Sicherheit gegenüber dem Objekt zu erlangen.

 

 Der introvertierte Typus:

 

Dieser orientiert sich vorwiegend an subjektiven Faktoren und nicht an objektiv Gegebenem. Er ist dem Äußeren gegenüber verschlossen, ist wie auf einem ständigen Rückzug vor dem Objekt begriffen, tut nicht mit und hat eine ausgesprochene Gemeinschaftsunlust.

Sein Auftreten erscheint oft gehemmt. Seine besseren Eigenschaften behält er in erster Linie für sich. Der introvertierte Typus ist leicht misstrauisch, eigensinnig und leidet häufig an Minderwertigkeitsgefühlen und hat eine ewige Angst, er könne sich lächerlich machen. Er ist in der Regel auch persönlich sehr empfindlich, weshalb er auch der Welt gegenüber ein ausgedehntes Sicherheitssystem anwendet. Alles muss zuerst an seinen kritischen Maßstäben gemessen und bewertet werden und wird nur dann zum Eigenen gemacht, wenn es aus subjektiven Gründen angenommen werden kann. Der Umgang mit sich selbst ist ihm ein Vergnügen, die eigene Gesellschaft ist ihm die beste, denn die eigene Welt ist ihm ein sicherer Hafen. Der Freundes- und Bekanntenkreis beschränkt sich auf die kleinst mögliche Zahl. Das seelische Leben spielt sich ganz im subjektiven Inneren ab und bleibt somit der Umwelt verborgen. 

Entstehen in dieser Innenwelt irgend welche Konflikte, werden Türen und Fenster geschlossen. Man schließt sich mit dem Komplex ein bis zur völligen Verschlossenheit und Isolierung.

 Wie das Objekt in der extravertierten Einstellung eine zu große Rolle spielt, so hat es in der introvertierten zu wenig zu sagen. Eine Analyse des persönlichen Unbewussten ergibt eine Menge von Machtphantasien, gepaart mit Angst vor belebten Objekten.

 

Das introvertierte Denken orientiert sich am subjektiven Faktor. Theorien werden geschaffen um der Theorie willen, mit deutlicher Neigung vom Ideellen zum bloß Bildhaften überzugehen. Dadurch kommen zwar viele Möglichkeiten zustande, von denen aber keine zur Wirklichkeit wird.

Das introvertierte Fühlen ist ein Fühlen, das anscheinend die Objekte entwertet und sich darum meistens negativ bemerkbar macht. Es versucht nicht, sich dem Objekt anzupassen, sondern sich ihm überzuordnen.

Das introvertierte Empfinden erfasst mehr die Hintergründe der physischen Welt als ihre Oberfläche. 

Während die extravertierte Empfindung das momentane und offen zutage liegende Sein der Dinge erfasst, wird bei der introvertierten Empfindung der bloße Sinneseindruck nach der Tiefe des Ahnungsreichen entwickelt.

Die Intuition in der introvertierten Einstellung richtet sich auf die inneren Objekten (= Elemente des Unbewussten), welche der intuitiven Wahrnehmung als subjektive Bilder von Dingen erscheinen, die in der äußeren Erfahrung  nicht anzutreffen sind, sondern Inhalte des kollektiven Unbewussten ausmachen. Diese sind archetypischer Natur.

 

Der extravertierte Typus:

 

Von einer extravertierten Einstellung spricht man dann, wenn die Orientierung am Objekt und am objektiv Gegebenen vorwiegt, sodass die häufigsten Entschlüsse und Handlungen durch objektive Verhältnisse bedingt sind und nicht durch subjektive Ansichten. Interesse und Aufmerksamkeit folgen den objektiven Vorkommnissen.

Die Extraversion ist gekennzeichnet durch Hinwendung zum äußeren Objekt, Aufgeschlossenheit und Bereitwilligkeit gegenüber dem äußeren Vorgang, Lust und Bedürfnis, dabei zu sein, stetige Aufmerksamkeit auf die Beziehung zur Umwelt, Pflege und Unterhaltung von Freund- und Bekanntschaften. 

Das eigene Subjekt liegt dabei im Dunkeln. Das seelische Leben spielt sich gewissermaßen außerhalb seiner selbst ab. Er lebt in und mit der Umgebung. 

Der Extravertierte ist ein Mensch, der das Bestreben hat, seine gesamte Lebensäußerung in die Abhängigkeit von intellektuellen Schlüssen zu bringen, die sich stets am objektiv Gegebenen orientieren. Seine Moral verbietet ihm, Ausnahmen zu dulden. Je enger die "Formel" ist, desto mehr wird dieser Typus zum Nörgler, Vernünftler und selbstgerechten Kritiker. Alles Neue wird durch einen Schleier von Hass beurteilt und abgewertet.

Wichtige Lebensformen, wie religiöse Erfahrungen, Leidenschaften, etc. sind oft bis zur völligen Unbewusstheit ausgetilgt und fristen ein zum größten Teil unbewusstes Dasein.

 

Früher oder später werden sich intellektuelle Einstellungen verdrängter Lebensweisen indirekt bemerkbar machen, indem sie die bewusste Lebensführung stören. Erreicht die Störung einen erheblichen Grad, so spricht man von einer Neurose (Angst-, oder Zwangsstörungen,...).

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Aufgrund der Typisierung wird erkennbar, das jeder unterschiedliche Voraussetzungen für das Bewältigen verschiedenster Lebensaufgaben hat und man sollte nie von sich selbst ausgehen, wenn man anderen gegenübersteht. Es ist eine Tatsache, dass der Mensch nahezu unfähig ist, einen anderen Standpunkt als seinen eigenen zu begreifen und gelten zu lassen. Jeder lebt in seiner eigenen Welt! Jeder denkt, fühlt, empfindet anders und nimmt Dinge unterschiedlich wahr. Dieser Einblick in die verschiedenen Einstellungstypen soll einerseits helfen, sich selbst besser zu verstehen, andererseits eine gewisse Toleranz anderen gegenüber zu fördern.

 

 

 (Quelle.: vgl. C.G. Jung (1990), Typologie, München, dtv)